NS-Tatort Schwelhalle in Balingen-Frommern und der Geschichtsrevisionismus der AfD

Wir sehen vor uns die Schwelhalle. An diesem Ort fand grausame NS-Geschichte statt.
Heute erinnert wenig daran. Und dafür gibt es Gründe, u.a. das Ansinnen von einem
großen Teil der Gesellschaft, diesen unrühmlichen Teil der Geschichte vor der eigenen
Haustür vergessen zu wollen. Und dies nutzt die AfD zu ihren Gunsten wie ich nachher
erläutern werde.

Doch zunächst möchte ich erinnern an diesen Ort und seine Opfer.
Mit Beginn des Zweiten Weltkrieges war die Treibstoffversorgung der deutschen
Streitkräfte eines der zentralen Anliegen der nationalsozialistischen Kriegswirtschaft.
Vor diesem Hintergrund ist die Wiederbelebung der Idee zu sehen, aus Schiefer Öl zu
gewinnen. Die LIAS-Ölschiefer-Forschungsgesellschaft mbH begann im Frühjahr 1943 mit
dem Bau eines Werkes in Frommern. Vorgesehen war die Ölgewinnung durch
Verschwelung in Schachtöfen in industriellem Maßstab. In zwei gegenüberliegenden
Reihen sollten in bis zu 28 Öfen der in der Nähe abgebaute Schiefer verschwelt werden –
aus dem damaligen Schieferbruch ist der in unmittelbarer Nachbarschaft gelegene
Schiefersee entstanden.
Das war vor der Gründung des Unternehmens „Wüste“. Im Rahmen dieses Programms
zur Sicherung der Treibstoffversorgung sollten entlang der Bahnlinie von Tübingen nach
Rottweil zehn „Wüste“-Werke errichtet und aus dem Schiefer, der sich entlang des Traufs
der Schwäbischen Alb findet, Öl gewonnen werden. Die sich noch im Bau befindliche
LIAS-Anlage in Frommern wurde dem Unternehmen „Wüste“ organisatorisch angegliedert.
Zunächst – bis Anfang 1944 – wurden ca. 50 russische Offiziere hier zur Arbeit gezwungen
und durch die Wehrmacht bewacht. Dann wurde am 01.03.1944 ein Außenkommando des
KZ Natzweiler-Struthof in Frommern errichtet, ein Barackenlager hinter der Schwelhalle,
welches etwas mehr als ein Jahr existierte, bis Mitte April 1945. In diesem waren so
genannte „politische und kriminelle Häftlinge“ aus Deutschland, Holland und Frankreich
interniert, welche aus dem KZ Natzweiler nach Frommern transportiert wurden. Die KZ
Häftlinge wurden zum Ölschieferabbau und zur Errichtung der Produktionsanlagen (u.a.
der Schwelhalle) eingesetzt. Die Bewachung erfolgte durch die SS. Insgesamt befanden
sich 120-200 Häftlinge im Lager – es gab nachweislich 8 Tote. Das KZ galt trotzdem als
relativ „angenehmes Kommando“. Nach Auflösung des KZ-Außenlagers Frommern
wurden die verbliebenen Häftlinge auf verschiedene Todesmärsche geschickt. Die SS trieb
die Häftlinge der Wüste-Lager in Teilkolonnen von je 100 bis 250 Männern, die mit
unterschiedlicher Rigorosität vollzogen wurden.

Bis Kriegsende wurde die Anlage nicht fertig, die Französischen Besatzer ließen sie
anschließend zu Ende bauen, forschten weiter zur Ölschiefergewinnung und verkauften
das Werksgelände in den 1950er-Jahren an das Unternehmen Elektra, dessen Schriftzug
bis heute an der Fassade zu lesen ist. Nach deren Auszug in den 1980er-Jahren wurden
die Gebäude auf dem Gelände als Lager an andere Unternehmen vermietet.
Seit einigen Jahren gehört das Gebäude einem Privatbesitzer, der es an das Atelier Türke
vermietet, welches den Ort als Lager und für Kultur- und Werbe-Events nutzt. Im
Zusammenhang mit einer Ausstellung zu Urbaner Kunst ist auch das Graffiti an der
Fassade entstanden, als das Gebäude jedoch schon ein Prüf-Fall des Landesdenkmalamtes
war. Im Juni 2019 wurde die Schwelhalle wie das gesamte umliegende Areal in
Frommern vom Landesdenkmalamt für Denkmalpflege in die Liste der Kulturdenkmale
aufgenommen und damit unter Schutz gestellt.
Daraufhin entbrannte ein Streit darum, ob das Graffiti wieder entfernt werden muss.
Die Stadt Balingen will das Graffiti nun im Konsens mit dem Landesdenkmalamt dulden.
Vieles ist unklar da sehr spät erst begonnen wurde sich damit zu beschäftigen. Und noch
mehr läge im Dunkeln wenn hierzu auf Initiative Einzelner nicht haupt- und ehrenamtlich
geforscht werden würde. Denn vor allem von kleinen KZs, von denen die Bevölkerung
unmittelbar mitbekam, wurde nach der Befreiung 1945 gerne geschwiegen. Ähnlich verhält es sich bei der AfD. Doch mehr!
Es existiert in der Mehrheitsgesellschaft der Bundesrepublik der Grundkonsens: die
absolute Verurteilung nationalsozialistischer Schreckenstaten. An diesem Grundkonsens
des Gedenkens rüttelt die AfD. Er scheint sich immer mehr aufzuweichen, wodurch
Rassismus und antidemokratisches Denken wieder salonfähig werden.
Eine Geschichtsschreibung wie die AfD sie vollzieht, leugnet die Verbrechen nicht, spielt
ihre Bedeutung jedoch herunter, lässt Deutsche vorwiegend als Opfer erscheinen, träumt
von einem Schlussstrich und von deutscher „Normalität“ (Slogan „Deutschland aber
normal“).

Die AfD leugnet nicht die Shoa, jedoch einzelne Mitglieder und Abgeordnete der AfD sind
hierdurch schon aufgefallen, u.a.
„Flügel“-Anhänger Markus Mohr
Ihm sind folgende Zitate zuzuordnen:
„Mit dem 8. Mai endete Deutschlands Zeit als souveräne Nation. Unserem Land
standen Jahre als Beutekolonie bevor.“
– Der „Raub hunderttausender Patente und Erfindungen durch die Alliierten“ sei „das
Fundament für die bis heute anhaltende Dominanz der USA“ geworden.
„Deutschland wurde nicht nur materiell sondern auch mental entreichert.“
– Eine „nie dagewesene Umerziehung des deutschen Geistes“ habe eingesetzt.

Wolfgang Gedeon, Landtagsabegordeter in BW
– darf durch das Landgericht Berlin bestätigt als Holocaust-Leugner bezeichnet werden
– ist inzwischen aus der AfD ausgeschlossen worden

Doris von Sayn-Wittgenstein, ehemalige Landesvorsitzende der AfD Schleswig-Holstein
– hatte für einen rechtsextremistischen Verein geworben, der auf der sogenannten
Unvereinbarkeitsliste der AfD steht
– wurde ausgeschlossen, hat sich aber wieder in die AfD eingeklagt
Diese Art von Geschichtsrevisionismus, der sich kaum vom Jargon neonazistischer
Gruppen unterscheiden lässt, ist in der „Alternative für Deutschland“ derzeit nicht
mehrheitsfähig.
Mehrheitsfähig ist hingegen eine Umschreibung der Geschichte, die subtiler vonstatten
geht. „Man muss uns diese zwölf Jahre jetzt nicht mehr vorhalten“, sagt Gauland. „Sie
betreffen unsere Identität heute nicht mehr.“ Hitler und die Nazis seien „nur ein
Vogelschiss in unserer über 1000-jährigen Geschichte“ gewesen, wusste einst der Ex-
Parteichef und jetzige Ehrenvorsitzende zu berichten und bestand auf dem Recht, „stolz
zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“.
Die Deutschen hätten „das Recht, uns nicht nur unser Land, sondern auch unsere
Vergangenheit zurückzuholen“.

Einige Beispiele hierfür.
• Stephan Brandner (Fraktionsvize unter Bernd Höcke) 2015 : Die AfD sei „gegen eine
überbordende staatliche Gedenkvorgabe, die droht, zu einer Gedenktagsinflation zu
führen“ „Es wird“, sagte er also zur Begründung seiner Ablehnung, „auf die
Menschheitsgeschichte zurückblickend wohl kaum einen Tag im Jahreskreis geben, an
dem es nichts zu gedenken gibt.“
• Bernd / Björn Höckes Rede 2017 in der er das Berliner Holocaust-Mahnmal ein
„Denkmal der Schande“ nannte, gegen eine „dämliche Bewältigungspolitik“ wetterte,
eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ sowie eine „Erinnerungskultur“
forderte, „die uns vor allen Dingen und zuallererst mit den großartigen Leistungen der
Altvorderen in Berührung bringt“
• Versuchen aus den Reihen der AfD, Geschichte neu und ganz anders zu schreiben
Dresdens Bombardierung sei ein Kriegsverbrechen, gewesen, „vergleichbar mit den
Atombombenabwürfen über Hiroshima und Nagasaki“ „Man wollte uns mit Stumpf und
Stiel vernichten, man wollte unsere Wurzeln roden. Und zusammen mit der dann nach
1945 begonnenen systematischen Umerziehung hat man das auch fast geschafft.“

Erwähnenswert und aktuell ist die ungeheuerliche Aktion der AfD, auf dem Parkplatz der
Gedenkstätte Buchenwald ein Wahlplakat aufzuhängen mit dem Slogan „Mut zur
Wahrheit“, was zum einen verboten ist und zum anderen als klarer Affront in Richtung aller NS-Gedenkstätten verstanden werden kann.
Die AfD gedenkt gerne angeblichen oder tatsächlichen lichten Momenten der deutschen
Geschichte. „Diese zwölf Jahre“, wie ihr Ehrenvorsitzender Alexander Gauland die NS-Herrschaft nennt, stören aber das Bild, das die Partei von Deutschlands Größe zeichnen
will. Schon allein darum ist es wichtig um eine reflektierte Erinnerungs- und Gedenkkultur zu kämpfen.

Nie wieder Faschismus!